Wandern und Entdecken

© Michael von Levetzow

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Die Wiege der Inseln

Unsere Inseln sind aus der Tiefsee aufgestiegene Vulkane oder, was davon übrig blieb. Unter den Vulkaninseln der Welt ist Fuerteventura mit mehr als 20 Millionen Jahren eine der ältesten; vielleicht hat sie sogar schon 23 Millionen Jahre auf ihren betagten Bergrücken. Lanzarote ist nur wenig jünger, nach Westen nimmt das Alter der Inseln immer mehr ab. La Palma und El Hierro bringen es nur auf zwei bzw. eine Million. Die ältesten kanarischen Gesteine finden wir also bei unseren Wanderungen auf Fuerteventura. Unter den Wander-Inseln nimmt die alte Dame keinen der vorderen Plätze ein. Im Sommer ist sie zu heiß und zu trocken. Im Winter muss man mit rasch wechselnden Wettersituationen rechnen. Kühle Passatwinde und gelegentliche Regenschauer verlangen zusätzlich zu sommerlichen Textilien eine entsprechende Bekleidung. Daneben sollte man natürlich auch nicht Badesachen vergessen; denn den einen oder anderen der größten und schönsten Strände der Kanaren betritt man unterwegs. Ist es auf dieser Insel nicht ungewöhnlich, längere Strecken auf „Hauptverkehrsstraßen“ zu fahren, ohne einem anderen Fahrzeug zu begegnen, so sind die Wanderungen noch einsamer. Es gibt aber auch einige stärker frequentierte. Jedenfalls lohnt es sich, abseits der Hauptrouten zu wandern – sofern man sich an das vorhandene Wegenetz hält – und die Augen offen zu halten.
Ajuy ist ein kleines Nest an der Westküste der Insel. Es war nie größer und trotzdem lange Zeit der wichtigste Hafen der Insel. Denn hier bot eine der wenigen natürlichen Buchten den Schiffen Schutz. Das umgebende Land ist überwiegend sanft hügelig und von einigen Pisten und Wegen durchzogen. Der spektakulärste Weg beginnt gleich beim Ort an einem großen Parkplatz, wo neben einer Informationstafel eine gepflas-terte Rampe über die Steilwände aufwärtsführt. Sie ist mit einem soliden Geländer gesichert. Die Tafel beschreibt den Wegverlauf und gibt auch eine kleine Einführung in das vor uns liegende Gelände. So erfahren wir, was es mit den unterschiedlich gefärbten Gesteinen auf sich hat, die hier übereinander liegend die Wand bilden. Wer schon einen Blick für Lavagesteine von anderen Wanderungen mitbringt, erkennt unschwer vor allem im unteren Bereich dunkle Basalte. Aber die hellen Gesteine haben überhaupt nichts mit hellen vulkanischen Gesteinen gemein, denen wir an anderen Orten häufig begegnen. Aus der Nähe zeigen sie eine feinkörnige Struktur und fühlen sich an wie Schmirgelpapier. Sie sind Kalksandstein. Das ist ungewöhnlich auf vulkanischen Inseln, wo alles Gestein aus Lava bestehen sollte.

© Michael von Levetzow
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Schauen wir genauer hin, können wir ein Muster aus helleren und dunkleren Streifen, ähnlich der Maserung in einem Brett, ausmachen. Sollten wir zufällig eine Zitrone dabeihaben und ein paar Tropfen von ihrem Saft auf die hellen Stellen spritzen, entwickeln sich dort kleine Gasblasen. Sie zeigen, dass wir es mit Kalk zu tun haben. Bis vor zehn Millionen Jahren waren Klima und Meer deutlich wärmer, im Meerwasser lebten große Mengen von Schnecken, Muscheln, Krebsen, Korallen und anderen Tieren mit Kalkschalen. Nach ihrem Tod zerschlug die Brandung diese zu Kalksand, der mit verschiedenen Bindemitteln allmählich zu festem Gestein wurde. Die unteren hellen Schichten gehörten einst zu den Unterwasserbereichen von Sandstränden, die obersten zu Festlanddünen. Beide sind so sehr versteinert, dass sie der Witterung und dem Tritt der Wanderer standhalten. Vor allem die fossilen Sandstrände weisen die schon erwähnte Hell-Dunkel-Schichtung auf. Das dunkle Material ist vulkanische Asche, Basaltkörnchen, wie wir sie auch an schwarzen Stränden finden. Sind sie dichter gepackt, ist der Streifen dunkler. Mit hoher Wahrscheinlichkeit reflektieren die Muster das damalige Ausbruchsgeschehen.
Aufwärtssteigend erreichen wir eine Sandsteinzone mit zahlreichen kleinen und kleineren Aushöhlungen. Tafoni heißen diese Verwitterungsformen, deren skurrile Formen uns auf dem größten Wegstück begleiten. Entlang der Spuren eins-tigen Kalkabbaus gelangen wir schließlich zur nächsten Bucht und zu abwärts führenden Stufen. Es geht ein gutes Stück hinab zu einem Absatz. Dann liegt vor und unter uns eine riesige Höhle. Man könnte ein Mehrfamilienhaus hineinstellen. Die Stufen führen bis auf ihren Grund, der sich weit ins Dunkel erstreckt. Das Ende der Höhle ist nicht gut zu erreichen; denn jenseits einiger Felsblöcke versperrt eine tiefe Wasserlache den weiteren Weg. Auf dem Rückweg reicht unser Blick über die Bucht hinweg, wo sich weitere Riesenhöhlen befinden. Durch ein Loch in der Wand kann man in eine ähnliche Nachbarhöhle hinüberklettern.

© Michael von Levetzow
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Sie entstanden nicht als Lavaröhren, sondern sind Ergebnis beständiger Erosion. Als wären Größe und Entstehung nicht schon ungewöhnlich genug, erkennen wir in einigen Wänden ein Streifenmuster aus durch helle Einlagen voneinander getrennten Basaltschichten. Sie verlaufen schräg, gelegentlich beinahe senkrecht zum Boden und sind ab und zu gekrümmt. Einander überlagernde Basaltdecken sind normalerweise nie gekrümmt. Hier aber wurden sie von enormen Kräften nach dem Erstarren verschoben und verbogen. Was man nicht sieht, aber Geologen herausgefunden haben, ist ihr hohes Alter: 65 Millionen Jahre! Viel älter als Fuerteventura. Wir stehen vor und auf einem mehr als 3000 m angehobenen Meeresboden aus der Zeit, als der kanarische Vulkanismus tief unter Wasser begann, an der „Wiege“ unserer ältesten Insel. Wir sehen die einzelnen dünnen Basaltdecken, die sich am Anfang auf dem Tiefseeboden ausbreiteten. In Ruhephasen ohne Lavaproduktion wurden sie von hellen kalkhaltigen Sedimenten überschichtet, dann folgte wieder eine Basaltschicht. Rund vierzig Millionen Jahre später erst wuchsen dort Unterseevulkane zur Meeresoberfläche und bildeten Fuerteventura. Noch viel später begann sich der Meeresboden zu heben, wurde dabei verformt und schräg gestellt, während parallel dazu die Insel immer weiter abgetragen wurde. Basalkomplex nennt man traditionell diese unterseeisch gebildeten Schichten. In der Gegend um Ajuy ist er häufig zu finden, aber nur selten so beeindru-ckend und anschaulich wie hier.


Michael von Levetzow
Tenerife on Top

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