„Wie Wasser und Öl“


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Während auf den Kanaren der Protest anhält, treiben Spanien und Marokko Probebohrungen voran

Kanarenpräsident Paulino Rivero hat Ende September noch einmal deutlich erklärt, eine „Koexistenz“ von Tourismus und Ölförderung sei „unmöglich“ Der wichtigste Wirtschaftssektor der Kanaren und eine Gewinnung des sogenannten schwarzen Goldes würden zusammenpassen „wie Wasser und Öl“, nämlich gar nicht. Fernando Ríos, Regierungsbeauftragter für Eigenverwaltung und institutionellen Austausch, fügte hinzu: „Wir leben vom Tourismus, vom kristallklaren Wasser unserer Strände, von unserer einzigartigen Natur. Wir dürfen all das nicht aufs Spiel setzen wegen einer möglicherweise umweltschädlichen Aktivität, die allein einen bereits reichen Konzern nur noch reicher macht.“

Im Zuge dessen wächst der Protest der Regionalpolitiker, der Bevölkerung, ja sogar der internationalen Tourismusindustrie und weltweit tätigen Umweltschutzorganisationen gegen eine Ölförderung vor der kanarischen Küste.

Nicht ohne Grund, denn die Lage spitzt sich zu. Erst veröffentlichte Repsol die entsprechenden Gutachten, denen zufolge der Erdölkonzern bereits im zweiten Quartal 2014 mit den Probebohrungen nur 60 km vor Fuerteventura beginnen will. Zudem wurde bekannt, dass Marokko scheinbar Spanien zuvorgekommen ist und bereits mehrere Genehmigungen zur Ölsuche in anliegenden Seegebieten erteilt hat.

Einen ersten Eindruck erhielten die Canarios Ende September, als die Bohrplattform „Cajun Express“ auf ihrem Weg zur ersten Sondierungsstelle im Hafen von Las Palmas Halt machte.

Seit vielen Monaten liegen die Kanaren mit Madrid im Zwist wegen der genehmigten Probebohrungen nach Erdöl, die Repsol im kommenden Jahr vor den Küsten Fuerteventuras und Lanzarotes durchführen will. Doch klammheimlich haben die Marokkaner ebenfalls entsprechende Genehmigungen erteilt, und nun will schon im Oktober der schottische Erdölkonzern Cairn Energy in der Nähe der Kanaren mit den Sondierungen beginnen.

Kampf gegen Windmühlen

Nachdem im April das Industrie- und Energieministerium dem Erdölkonzern Repsol die Erlaubnis erteilt hatte, in neun Seegebieten östlich von Fuerteventura und Lanzarote Probebohrungen durchzuführen (das Wochenblatt berichtete), setzten sich die Regionalregierung, die Cabildos von Fuerteventura und Lanzarote sowie diverse Umweltschutzorganisationen und Bürgervereinigungen weiterhin vehement dafür ein, es nicht so weit kommen zu lassen. Denn während die Zentralregierung in Madrid und die regierende Partido Popular sehr an einer Erdölförderung vor den kanarischen Küsten interessiert zu sein scheinen, sorgt man sich auf den Kanaren um die Folgen eines Förderunfalles. Es geht um die zum großen Teil naturgeschützten Inseln, ihre Fauna und Flora und im Endeffekt um den Tourismus, die Lebensgrundlage vieler Einwohner.

Schlussendlich reagierte Brüssel auf die Hilfsanfragen der kanarischen Institutionen, und im EU-Parlament wurde eine Richtlinie verabschiedet, welche die Verantwortlichkeit für Umweltschäden den erdöl- und erdgasfördernden Unternehmen zuschreibt. Die EU beschloss, dass diese Firmen im Vorhinein nachweisen müssen, etwaige Schäden finanziell ausgleichen zu können. Darüber hinaus wurden die Konzerne verpflichtet, vor jeder Bohrung eine umfassende Risikoanalyse vorzunehmen und einen entsprechenden Notfallplan zu entwerfen. Allerdings verwarfen die europäischen  Parlamentarier einen Änderungsantrag, der ein Verbot von Bohrungen in der Nähe von Urlaubsgebieten vorsah.

Lanzarotes Inselregierung bedauerte das Vorgehen der EU und warf der Union vor, die Interessen der Erdölkonzerne zu schützen. Das Cabildo kritisierte zum einen, dass es sich nur um eine Richtlinie handele, es den Mitgliedsstaaten also freistehe, wie sie die Vorgaben umsetzten, zum anderen, dass dem Änderungsantrag nicht stattgegeben worden sei.

Kurz darauf versetzte auch der Oberste Gerichtshof den Kanaren einen Rückschlag, als die Richter zum wiederholten Male die Repsol erteilten Genehmigungen ratifizierten.

Nur 60 km entfernt

Als Repsol dann im August endlich die verlangten Gutachten über die Umweltauswirkungen und die Durchführung der Probebohrungen im Nationalen Gesetzblatt (Boletín Oficial del Estado, BOE) veröffentlichte und so die Frist zur Einlegung von Einwendungen eröffnete, wurden neue Details bekannt. So plant der Konzern, im zweiten Quartal 2014 und im ersten Quartal 2015 in den 60 Kilometer östlich von Fuerteventuras Nordspitze gelegenen Stellen „Chirimoya-1“ (Rahmapfel-1), „Zanahoria-1“ (Karotte-1), „Sandía-1“ (Wassermelone-1) und „Plátano-1“ (Banane-1) Probebohrungen durchzuführen. Pro Sektor sind 90-tägige Sondierungen in einer Tiefe zwischen 800 und 1.000 m vorgesehen. Fällt eine der Probebohrungen erfolgreich aus, sind weitergehende Untersuchungen notwendig, um Aufschluss über die Größe des Ölfeldes und die Rentabilität einer etwaigen Erdölgewinnung zu erlangen. Dann muss die Förderung aufs Genaueste geplant und vorbereitet, die finanziellen Mittel aufgebracht und eventuell eine Plattform gebaut werden. Bis tatsächlich Öl fließt würden weitere vier bis fünf Jahre vergehen. 

Fuerteventuras Cabildo zeigte gegenüber einer Nachrichtenagentur empört auf, dass in dem Umweltgutachten die Wahrscheinlichkeit einer Umweltkatastrophe im Falle eines Unfalles als mittelgroß eingeschätzt wird. Woraufhin Repsol entgegnete, tatsächlich läge die Wahrscheinlichkeit bei eins zu 50.251; eine Katastrophe sei nur bei den ungünstigsten Wind- und Wellenverhältnissen sowie einem fehlenden menschlichen Einsatz zu erwarten.

Bis Ende September waren über 2.600 Einwendungen gegen das Umweltgutachten bei der Regierungsvertretung auf den Kanaren eingegangen. Laut deren Vorsitzende María del Carmen Hernández Bento handelte es sich allerdings bei rund 1.000 Einwendungen um von der Umweltschutzorganisation Ben Magec-Ecologistas de Acción ausgeteilte Formulare.

Interessenkonflikt

Treffen die Berechnungen des Erdölkonzerns Repsol zu, der auf eine tägliche Fördermenge von 2,24 Millionen Litern hofft, könnte das Ölfeld Spaniens Bedarf zu 10 bis 15% decken, wie der Minister für Industrie, Energie und Tourismus, José Manuel Soria, erfreut mitteilte. Für die von der Arbeitslosigkeit gebeutelten Canarios eine gute Nachricht, so der Minister, der hinzufügte, würde Spanien nicht die Ölblase anbohren, dann täten es schließlich die Marokkaner (womit er Recht behalten sollte).

Fraglich ist jedoch, inwieweit die Canarios tatsächlich von einer Erdölgewinnung profitieren würden. Ob Arbeitsplätze für die Einheimischen geschaffen würden, steht in den Sternen. Auch eine finanzielle Gewinnbeteiligung müsste erst ausgehandelt werden, denn an erster Stelle würde allein der Staat über die Unternehmenssteuer am Geschäft teilhaben.

Während der in Las Palmas de Gran Canaria geborene und lange Jahre in der Regionalpolitik tätige Soria die positiven Neuigkeiten für die nationale Wirtschaft feierte, wächst der Protest auf den Kanaren und auch international stetig an. Neben den Aktionen der Regionalregierung und der Cabildos, die nicht aufgeben, alle möglichen Rechtswege zu beschreiten, haben sich neben der kanarischen Ben Magec–Ecologistas en Acción auch weltweit agierende Umweltorganisationen wie Greenpeace, Seo Birdlife, Amigos de la Tierra und WWF zu einer einzigen Plattform namens G-5 zusammengeschlossen und organisieren Protestaktionen. Doch auch die Tourismusbranche bezieht Stellung: die Reiseverbände von Großbritannien, Deutschland, Estland, Finnland, Dänemark, Schweden und Norwegen haben schriftlich bei Soria gegen die Probebohrungen und eine etwaige Ölförderung protestiert. Die skandinavischen, britischen und deutschen Branchenvereinigungen, die den Kanaren 75% der Urlauber bescheren, warnten Soria vor den möglicherweise verheerenden Folgen für den Tourismus, die Umwelt und die Bevölkerung.

Marokko kommt Spanien zuvor

Doch alle diese Diskussionen und die Machtkämpfe zwischen nationalen und regionalen Politikern, zwischen Konzernen und Interessenverbänden, könnten sinn- und zwecklos gewesen sein, denn Mitte September wurde bekannt, dass Marokko klammheimlich Sondierungen genehmigt hat, wo man schon einmal auf Öl gestoßen war, sprich: ganz in der Nähe der Kanaren. Die entsprechende Erlaubnis wurde dem schottischen, vom „Wall Street Journal“ wegen seiner Unberechenbarkeit „Wildsau“ getauften Mineralölunternehmen Cairn Energy erteilt, das im Oktober mit den Probebohrungen in Seegebieten beginnen will, die direkt neben denen liegen, die Repsol zugesprochen wurden.

Tatsächlich machte die von Cairn Energy gemietete Bohrplattform „Cajun Express“ Ende September im Hafen von Las Palmas de Gran Canaria fest. Diese auf Pontons schwimmende Halbtaucher-Bohrinsel kann bis zu einer Meerestiefe von 2.000 m und bis 6.000 m unterhalb des Meeresbodens Bohrungen durchführen. Ein paar Tage nach dem Zwischenstopp verließ die „Cajun Express“ Las Palmas und machte sich auf den Weg zur ersten Sondierungsstelle. Eine offizielle Aussage über deren genaue Position gab es nicht. Einigen Medien zufolge könnte sich diese nur 70 bis 90 km östlich von Fuerteventura in den Seegebieten nahe der Kanaren befinden. Andere Medien wiederum berichteten, die erste Sondierung würde 555 km nordöstlich durchgeführt werden.

Kurz darauf wurde bekannt, dass Marokko noch weitere Genehmigungen vergeben hat. Damit planen Cairn Energy, das portugiesische Unternehmen Galp und die irländische Firma Kosmos Energy weitere Probebohrungen in Entfernungen von 110, 200 bzw. 400 Kilometern zu den kanarischen Küsten durchzuführen.

Tatsächlich scheinen unter den marokkanischen Gewässern wahre Ölschätze zu schlummern, denn seit 1969 fanden diverse Sondierungen vor der marokkanischen Atlantikküste statt und in mindestens 15 Fällen stießen die Unternehmen auf Erdöl oder Erdgas. Doch kam es bisher nie zu einer Gewinnung, entweder weil eine Förderung sich nicht rentiert hätte, oder weil damals die nötige Technik und Maschinerie noch nicht entwickelt worden war. Die besten Funde wurden tatsächlich in der Nähe der Seegebiete gemacht, in denen Repsol auf die Suche gehen will, sodass erneute Funde sowohl auf marokkanischer als auch auf spanischer Seite der imaginären Seegrenze sogar wahrscheinlich sind.

Soria jedenfalls drängte jetzt umso mehr auf eine baldige Aufnahme der Probebohrungen durch Repsol, damit Marokko nicht das Öl fördere und Spanien leer ausginge, woraufhin die Regionalregierung wissen ließ, wenn, dann gäbe es nicht ein einziges großes, sondern mehrere Ölfelder, sodass diese Sorge Sorias unbegründet sei.

Wie groß ist das Risiko?

Hinsichtlich der sicherheitstechnischen Aspekte der inselnahen Probebohrungen weichen die Meinungen voneinander ab.

Vor Kurzem meldeten sich verschiedene Experten in Geologie, Erdölgewinnung, Industrie, Meereswelt, Umwelt etc. des Forums Agustín de Betancourt zu Wort, um eine objektive Einschätzung abzugeben. Das Risiko der Probebohrungen in marokkanischen Gewässern bezeichneten sie als „praktisch inexistent“, obwohl Geologen vor der seismischen Aktivität am Rande der tektonischen Platte Afrikas gewarnt hatten.

Sollte es irgendwann zu einem Unfall kommen, wären die Folgen für die vom Tourismus abhängigen Kanarischen Inseln „katastrophal“.

In dieser Hinsicht forderten die Experten Spanien auf, einen Schadensersatzfonds einzurichten, denn der Staat könnte haftbar gemacht werden. Mit Wegfall des Tourismus und somit der Lebensgrundlage müssten die Menschen auf den Kanaren auswandern. Der Schaden wäre so groß, dass eventuell jeglicher spanische Fonds nicht ausreichen und schlussendlich die Europäische Union einspringen müsste, auch wenn Marokko verantwortlich gemacht werden könnte.

Den kanarischen Politikern rieten sie zur Zusammenarbeit mit der Zentralregierung, denn gegenüber Marokko könne nur Madrid die Interessen der Kanaren nachdrücklich vertreten. Die Hoheit über „kanarische Gewässer“ zu fordern – wie schon in der Vergangenheit geschehen – sei sinnlos, denn den Inseln fehle die nötige Kompetenz. Auf jeden Fall sollten die regionalen Politiker auf eine Garantie für die Erhaltung und den Schutz der Inseln und ihrer Umwelt sowie eine Beteiligung pochen, ansonsten würden die Kanaren unterm Strich nur die Risiken tragen müssen.

Rick Steiner, ehemaliger Universitätsprofessor in Alaska und Experte für Ölförderung, zeigte jedoch auf, das Gutachten über die Umweltauswirkungen von Repsol verstoße gegen internationale Sicherheitsvorschriften, die nach der Deepwater-Horizon-Katastrophe aufgestellt wurden und die Repsol als international operierendem Erdölunternehmen eigentlich bekannt sein müssten.

Erschwerend käme hinzu, dass die Tiefe der Ölquellen und die erwartete Fördermenge weit größer sei, als bei der Macondo-Ölquelle, die von der Unglücksplattform angezapft wurde.

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