Wunder der Berührung


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Es ist ein Unterschied, ob ich einen Bekannten mit „Grüß Gott“ oder „Hallo“ grüße oder ob ich ihm die Hand gebe. Es ist ein Unterschied, ob ich einen trauernden Menschen mit dem Wort „sei doch nicht so traurig“ trösten will oder ihn einfach in den Arm nehme. Und es ist auch ein Unterschied, ob ich einem Menschen sage „du ich liebe dich“ oder ob ich ihm das durch einen Kuss zeige.

Den Ausdruck meines Herzens kann ich doch durch körperliche Kontakte weitaus besser rüberbringen oder deutlich machen, als eben nur mit Worten. Deshalb hat auch die mittelalterliche Philosophie gelehrt: „Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen ist“, und die Theologie hat darauf mit der Erkenntnis aufgebaut: „Das Fleisch ist der Angelpunkt des Heils.“ Zwischenmenschliche Kommunikation ist nun einmal ohne den Leib nicht denkbar. Und weshalb? Weil Leib und Seele bis in die Auferstehung hinein eine unzertrennbare Einheit bilden. Darum kann von jeglicher körperlichen Berührung auch eine heilende Kraft ausgehen – zumindest dann, wenn sie aus dem Herzen kommt und wenn sie zu Herzen geht.

Für mich ist Jesus ein Meister in genau dieser Art von Berührungen. Für ihn war vollkommen klar und eindeutig: Der Mensch, um den sich nie ein Arm legt, dem jegliche Berührung durch einen anderen Menschen abgeht, ein solcher Mensch ist nicht nur arm, sondern er wird krank. Genau deshalb hat er immer und immer wieder die Menschen berührt, denen er begegnet ist und deren Not er erkannt hat. In einem Lied, das leider keinen Einzug in das neue Gesangbuch gefunden hat, heißt es deshalb: „Eines Tages kam einer, der hatte einen Zauber in seiner Stimme, eine Wärme in seinen Worten, eine Liebe in seinen Gesten“. Es sind alles äußere und leibliche Vorgänge, von denen aber eine immense Kraft für den Menschen ausgeht, der damit konfrontiert wird bzw. dem sie geschenkt werden.

Mir fällt da zum Beispiel die Begegnung Jesu mit dem Blinden ein, die an einem der Sonntage in der Fastenzeit im Gottesdienst vorgelesen wird. Dieser Blinde durfte auch das Wunder einer Berührung erfahren. Und faszinierend für mich dabei ist, wie intensiv und mit welcher Intimität Jesus hier hilft, obwohl ihm doch alles auch mit einem einzigen Satz oder gar Wort möglich gewesen wäre. Aber nein: Jesus spuckt auf die Erde; er macht mit seinem Speichel einen Teig, den er dann auf die Augen des Blinden streicht und dann schickt er ihn zum Waschen ans Wasser. Sicherlich denken Sie jetzt vielleicht auch: Ist das nicht unangenehm, mit dem Speichel eines bislang fremden Menschen so berührt zu werden? Bei Liebenden ist das kein Problem und sicherlich auch nicht bei Eltern gegenüber ihren Kindern. Wie häufig wurden da kleine Wunden oder Schrammen mit Spucke behandelt. Aber bei einander wildfremden Erwachsenen? Wobei mir mal ein Arzt sagte: „Der Speichel ist das Sauberste am Menschen.“

In dieser Stelle des Johannesevangeliums beschreibt der Blindgeborene gegenüber seinen fragenden Kritikern aber sogar mehrfach, wie Jesus ihn berührt hat. So sehr hat Jesus ihm dabei die Augen geöffnet, dass er fortan nicht nur diese Welt sehen und wahrnehmen konnte, sondern dass er eben auch erkannt hat, wer es war, der ihm das Augenlicht geschenkt hat. Über die Berührung der Augen wurde der Blindgeborene nicht nur sehend, sondern gläubig. Und so wie ihm ergeht es vielen anderen Menschen, die Jesus begegnet sind. Wie heißt es da beim Evangelisten Matthäus: „Man brachte alle Kranken zu ihm und bat ihn, er möge sie wenigstens den Saum seines Gewandes berühren lassen. Und alle, die ihn berührten, wurden geheilt.“

Gott sei Dank hat die Kirche bis heute an dem Wunder der Berührung festgehalten. Angefangen von der Taufe – da wird übrigens das Berühren von Ohren und Mund bis heute praktiziert, um daran zu erinnern, dass der Getaufte auf das Wort Gottes hören und es selber verkündigen soll – bis hin zur Lossprechung beim Sakrament der Versöhnung (hier müssten eigentlich die Hände das Haupt des Beichtenden berühren), werden in allen Sakramenten die Menschen berührt. Entweder werden sie gesalbt oder es wird ihnen ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet oder die Hände aufgelegt. Und jeder, der ganz bewusst ein solches Sakrament empfangen hat, spürt, welche immense Kraft von dieser Berührung ausgeht.

Das Wunder der Berührung stammt bereits aus den Anfängen der Heiligen Schrift – genauer bei der Erschaffung der Welt und des Menschen. Ich kann also auch sagen: Das Wunder der Berührung stammt aus dem Himmel. Als Gott den ersten Menschen geschaffen und ihn berührt bzw. ihm den Lebensatem eingehaucht hat, kam Leben in ihn. Als Jesus Kranke und Gelähmte berührte, konnten sie aufstehen und gehen. Und nicht zuletzt ist das Wunder der Berührung für mich ein Hinweis auf die Auferstehung, ein Hinweis auf das neue Leben, das uns verheißen ist.

Wie wäre es denn, wenn wir selber einfach öfter mal dieses „Wunder der Berührung“ praktizieren würden? Wenn wir in diesen Tagen vor Ostern einfach mal ganz bewusst den Menschen Berührungen schenken, von denen wir wissen, dass eine solche ihnen gut tun würde? Nicht aufdringlich – um Gottes Willen – sondern dann, wenn Sie das Gefühl haben, jetzt – genau jetzt, wäre eine solche Berührung nicht aufgesetzt und überzogen, sondern für den anderen und für mich einfach stimmig.

Herzlichst, Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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