22 Tote – darunter mindestens 15 Kinder


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Die bislang schlimmste Flüchtlingstragödie in kanarischen Gewässern

Am 15. Februar ereignete sich vor Lanzarote die bislang schlimmste Tragödie in der Geschichte der illegalen Immigration auf den Kanaren. An der Küste des Ortes Los Cocoteros in der Gemeinde Teguise, nur gute zwanzig Meter vom Ufer entfernt, kenterte kurz nach 18.00 Uhr ein Flüchtlingsboot. Mindestens 22 Menschen ertranken. Nach einem Vermissten wurde bei Redaktionsschluss noch gesucht.

Unter den Todesopfern sind mindestens 15 Kinder im Alter zwischen vier und siebzehn Jahren und zwei Frauen, eine davon hochschwanger. „Es waren mehr Kinder als Erwachsene. Dabei zuzusehen, wie so viele Kinder ertrinken und ihre Körper danach aus dem Wasser zu ziehen, ist sehr hart, sehr traurig“, berichtet ein Koordinator der Rettungskräfte, der von Fuerteventura zur Bergung der Leichen gekommen war. Er ist seit über zehn Jahren bei Rettungsaktionen im Einsatz, doch dies ist mit Abstand das schlimmste Unglück, das er erlebt hat.

Das Boot, das nach Berichten der Überlebenden etwa 40 Stunden zuvor bei Agadir mit rund 30 Personen an Bord abgelegt hatte, war vermutlich durch den starken Seegang und einen Aufprall auf die Küstenfelsen umgekippt. Die Insassen waren überwiegend marokkanischer Herkunft.

Dem Surfer Christian Hunt gelang es, mit seinem Board sechs Menschen zu retten.

„Sie rutschten ab und gingen unter“

„Ich habe einfach nicht nachgedacht…, es war so um 18.20 Uhr als meine Frau mir sagte, dass nur wenige Meter vor unserem Haus ein Flüchtlingsboot gekentert war, ich ging hinaus und sah die vielen Köpfe im Wasser“, berichtete Christian Hunt.

Der 29-jährige Surfer berichtete, wie er sich mit seinem Brett ins Wasser stürzte und nach und nach die Menschen, die sich am Bug und am Heck des gekenterten Bootes festklammerten an Land brachte. „Diejenigen die sich an den Seiten des Bootes versuchten festzuhalten, rutschten immer wieder ab und gingen unter. Die Menschen waren total entkräftet, konnten sich kaum bewegen und wurden von ihren vollgesaugten Kleidern unter Wasser gezogen“, berichtete er weiter. Am Ufer halfen andere Anwohner, die Geretteten an Land zu ziehen. Ein 22-jähriger Surf-Kollege ging ebenfalls mit seinem Brett ins Wasser, und Christian erzählt: „Ohne Jonathan hätte ich den letzten Mann nicht retten können.“ In der ganzen Hektik und dem Durcheinander berührte Chris­tian Hunt besonders das Verhalten eines Mannes, den er auf sein Surfbrett ziehen wollte und der ihm zu verstehen gab, dass er nicht ihn, sondern den Jungen an seiner Seite retten sollte – seinen 15-jährigen Sohn, der später der einzige minderjährige Überlebende der Tragödie war. Tief erschüttert sagte Christian Hunt: „Kinder habe ich keine gesehen, das hätte ich womöglich nicht verkraftet, denn ich bin selbst Vater von zwei Töchtern.“

SIVE hat erneut versagt

Auf den Radarbildschirmen des aufwendigen neuen Küs­tenüberwachunssystems SIVE, die eigentlich auch in der Lage sind, die kleinsten Boote aufzuspüren, war das Flüchtlingsboot nicht erschienen. Dies räumte die Regierungsdelegierte auf den Kanaren, Carolina Darias, ein. Der kanarische Regierungschef, der zusammen mit seinem Kabinett eine Schweigeminute für die Ertrunkenen hielt, begab sich noch während der Bergungsarbeiten überraschend nach Lanzarote.

An der Küste von Los Cocoteros bedankte er sich bei einigen Anwohnern und Rettungskräften persönlich für ihren Einsatz. Danach schlug er ein Treffen mit den drei spanischen Ministerien, die für Einwanderungsfragen zuständig sind – Innenministerium, Arbeitsministerium und Au­ßenministerium –  vor, um die Möglichkeit weiterer Maßnahmen zu prüfen, um solche Katastrophen in Zukunft zu vermeiden.

Auf Lanzarote wurde eine dreitägige Trauer verhängt und sämtliche Karnevals-Veranstaltungen in dieser Zeit abgesagt.

Während in Teguise die Rettungskräfte noch nach Vermiss­ten suchten kam im Süden Teneriffas bereits das nächste Flüchtlingsboot an. Das Boot wurde von der Seenotrettung gesichtet und alle 56 afrikanischen Immigranten konnten sicher in den Hafen von Los Cris­tianos gebracht werden.

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