Banken stoppen Zwangsräumungen in Notfällen


© EFE

Regierung und Sozialisten verhandeln über dringende Reformen

Der Druck der Öffentlichkeit gegen die Zwangsräumungen und die Tragödie von mehreren Selbstmorden wegen drohender Enteignungen haben die letzten Hürden eingerissen, welche diese Vorgehensweise noch gerechtfertigt haben.

Madrid – Der AEB, der Spanische Bankenverband, hat auf Verlangen der Regierung vor einigen Tagen mitgeteilt, dass die spanischen Kreditinstitute während der kommenden zwei Jahre alle Zwangsverfahren gegen Schuldner stoppen werden, die sich in einer Notlage befinden. Es wurde allerdings nicht konkretisiert, wie der Begriff absolute Notlage zu interpretieren ist. Seit 2008 wurden 172.000 Zwangsräumungen durchgeführt, 178.000 weitere stehen noch aus

Vertreter der Regierung und der Sozialitischen Partei hatten über eine Reihe von Reformen verhandelt, doch keinen Konsens erreicht. Das Dekret, das schließlich beschlossen wurde, kann höchstens als „Trostpflästerchen“ bezeichnet werden und schließt weite Kreise von Betroffenen von  einer Lösung ihres Problems aus. Auch die Forderung von Verzugszinsen durch die Banken wird nicht gestoppt.

Druck von allen Seiten

Im ersten Halbjahr 2012 wurden in Spanien jeden Tag 317 Wohnungen zwangsgeräumt. Ein soziales Drama, das mit dem zweiten Selbstmord in 15 Tagen die Empörung in der Öffentlichkeit auf den Höhepunkt brachte. Amaya Egaña, 53-jährige ehemalige sozialistische Stadtverordnete in der baskischen Stadt Barakaldo, sprang aus ihrer Wohnung im vierten Stock in die Tiefe, als die Vollzugsbeamten in Begleitung eines Schlossers die Tür ihrer Wohnung öffneten, die sie seit 2006 mit ihrem Mann bewohnte. Der Notarzt konnte später nur noch ihren Tod feststellen. Amaya schuldete der Bank 214.000 Euro – 164.323  Euro betrug die Hypothekenschuld, auf 49.300 Euro beliefen sich die Zinsen. Mehrere Tausend Einwohner der Stadt versammelten sich zur Erinnerung an die so tragisch Verstorbene und verlangten in Sprechchören umgehende Maßnahmen gegen die Flut von Enteignungen. Nur wenige Tage zuvor hatte sich ein junger Familienvater unter ähnlichen Umständen das Leben genommen.

Richter schließen sich zusammen

„Die Justiz ist aufgerufen, die öffentliche Diskussion gegen die Krise anzuführen“. Die 47 Gerichtsvorsitzenden in Spanien haben diesen Aufruf unterzeichnet und sich in diesen Tagen unerwartet zur sprichwörtlichen Lanzenspitze einer Bewegung zusammengeschlossen, um die sozialen Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu bekämpfen. Die Richterliche Gewalt hat die Regierung förmlich gedrängt, Reformen einzuleiten und sich mit der politischen Opposition an einen Tisch zu setzen, um den Konsens zu suchen. Einige prominente Richter haben in nur zwei Wochen erreicht, dass die Regierung und die politischen Parteien sich beeilen, die Gesetzgebung über die Eintreibung von Hypothekenschulden zu ändern und, wie es die Richter selbst bezeichnet haben, diese soziale Ungerechtigkeit einzudämmen, welche mehr als 400.000 spanische Familien am eigenen Leib erfahren mussten, seit die Wirtschaftkrise begonnen hat.  „Wir können nicht mehr mit dem Rücken zur Realität leben, wir können nicht mehr so unsensibel sein. Die Binde vor den Augen von Justitia bedeutet Parteilosigkeit, aber nicht Gefühllosigkeit“, erklärte der Gerichtspräsident von Bilbao. Unter den Richtern habe sich eine Bewegung breitgemacht, wie es sie niemals zuvor gegeben habe. Die meisten von ihnen seien jünger als 45 Jahre, und sie gehörten den unterschiedlichsten politischen Überzeugungen an. Schon mehr als hundert Richter wenden außergewöhnliche Formeln an, um den Machtmissbrauch der Banken abzumildern.

Mohammed kippt das spanische Hypothekengesetz

Mohammed Aziz liest aufmerksam das Urteil, welches dem spanischen Hypothekengesetz den Todesstoß versetzen kann. Sein Anwalt erklärt ihm den Inhalt des Textes und die Konsequenzen, die dieser für ihn und für Tausende Personen haben kann, die sich in der gleichen Situation befinden, wie er, wenn das Urteil des Europäischen Gerichtshofes bestätigt, dass dieses Gesetz aus dem 20. Jahrhundert nicht den Schutz des Verbrauchers garantiert. „Ich bin sehr glücklich“, versichert Mohammed, „denn nicht nur ich leide unter der derzeitigen Situation, sondern auch viele andere Familien in Spanien. Er ist ein marokkanischer Arbeiter, der mit seiner Frau und zwei seiner Kinder in Katalonien lebt und stolz darauf ist, dass seine Klage vor der Europäischen Justiz eine Änderung in der spanischen Gesetzgebung nach sich ziehen könnte.

Caixa Tarragona hatte ihm im Sommer 2007 eine Hypothek von 138.000 Euro auf einen Zeitraum von 33 Jahren gewährt. Die monatliche Rate belief sich zunächst auf 700 Euro, etwa die Hälfe des Familieneinkommens. Der Vertrag enthielt jedoch eine Serie von Klauseln, die jetzt vom Europäischen Gerichtshof als abusiv bezeichnet wurden. So sollten Zinsen von 18,75 Prozent von dem Tag an berechnet werden, an dem Aziz mit der Zahlung in Rückstand geriet.

Dann verlief alles wie in vielen anderen Fällen: Er verlor seinen Arbeitsplatz und konnte die Raten nicht bedienen. Die Bank nahm die Wohnung zur Hälfte des Schätzpreises zurück und ließ sie für 90.000 Euro versteigern. Mohammed Aziz blieb weiterhin mit einer Schuldsumme von 40.000 Euro belastet. Er nahm einen Anwalt, der einen Weg beschritt, der bisher noch nicht begangen worden war: Er klagte auf Nichtigkeit des Kreditvertrages wegen illegaler und abusiver Klauseln. Er wusste nicht, ob er damit durchkommen würde, doch er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: Die europäischen Richter gaben ihm recht.

„Ich habe gesehen, dass sich in dieser Woche viele Politiker und Richter bewegt haben. Ich hätte schon eher etwas unternehmen sollen, aber ich dachte nicht, dass Leute sich umbringen würden. Die Menschen leben auf der Straße und die Wohnungen stehen leer. Die Banken leben von unserem Leiden“, klagte Mohammed Aziz an.

Über Wochenblatt

Das Wochenblatt erscheint 14-tägig mit aktuellen Meldungen von den Kanaren und dem spanischen Festland. Das Wochenblatt gilt seit nunmehr 36 Jahren als unbestrittener Marktführer der deutschsprachigen Printmedien auf den Kanarischen Inseln.