„Der Kapitän ist nur das Bindeglied einer Kette des organisierten Geizes“


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Der Generalstaatsanwalt im „Prestige“-Prozess:

Der spanische Staat läuft im Prozess über die Umweltkatastrophe, hervorgerufen durch den Öltanker „Prestige“, wie über eine Kiste mit rohen Eiern. Er ist gleichzeitig Ankläger und Beklagter. Und diese Doppelrolle führt gelegentlich zu überraschenden Wider-sprüchen, wie es sich bei dem Schlusswort des Anwalts der Regierung zeigte.

A Coruña – So hat er es beispielsweise als heldenhaft bezeichnet, dass der Kapitän Apostolos Mangouras, Hauptangeklagter dieses Makro-Prozesses und zwei weitere Offiziere nach dem Unfall des Tankers an Bord geblieben waren. „Dies ist keine Geschichte von Bösen und Helden, sondern von Unternehmern, die ihre Gewinn maximieren wollen und zwar mithilfe einer Kette des organisierten Geizes“, lautete sein Zitat.

Der Generalstaatsanwalt stützt die These des Untersuchungsrichters, dem greisen Kapitän die Hauptschuld an der Katastrophe zuzuweisen im Hinblick auf die einzige Gesellschaft in der Unternehmergruppe rund um die „Prestige“, welche die spanische Justiz vor Gericht stellen konnte. Tatsächlich ist die Londoner Versicherungsgesellschaft als einzige Institution übrig geblieben, welche wenigstens für einen Teil Kosten in Millionenhöhe herangezogen werden kann, die durch die Umweltkatastrophe entstanden sind. Eine Millionenklage, die Spanien in New York gegen die Gesellschaft ABS angestrengt hatte, welche dem alten Tanker Betriebsfähigkeit bescheinigte – „das schlechteste Schiff für das schlechteste Öl“ wie Anwalt Suarez es ausdrückte“, war zuvor gescheitert. Daher blieb dem spanischen Staat keine andere Alternative, als diesen Makro-Prozess anzustrengen.

Der Vertreter der öffentlichen Verwaltung  bezifferte die Schadenersatzforderung auf 700 Millionen Euro. Entgegen anderen Meinungen, die den Kapitän als Bauernopfer bezeichnen, vertritt er die Ansicht, dass dieser zwar nur ein Glied, jedoch ein bedeutendes Glied in der Kette gewesen sei. Hätte er sich geweigert, den Tanker zu führen, wie es sein Vorgänger getan hatte, wäre es nicht zu dieser Tragödie gekommen. Der Ankläger fordert sechs Jahre Haft für Kapitän Mangouras für ein schweres Umweltvergehen sowie wegen Ungehorsams gegenüber den spanischen Autoritäten und sechs Monate für den Maschinenmeister Nikolaos Argyropoulos. Obwohl der Generalstaatsanwalt drei Stunden lang Beweise, Dokumente und Zeugenaussagen Revue passieren ließ, um seine Strafanträge für die Besatzung der „Prestige“ zu begründen, überließ er es dem Tribunal, das gerechte Strafmaß abzuwägen.

Kurz, aber prägnant war das Plädoyer des Anwaltes der Volksbewegung „Nunca Máis – Nie mehr“, die als Nebenkläger auftritt. Nicht einmal eineinhalb Stunden dauerten seine Ausführungen in dem Makro-Prozess. Er versuchte das Tribunal davon zu überzeugen, dass nicht nur der greise Kapitän des schrottreifen Tankers bestraft werden müsse, sondern auch der einzige Vertreter der Regierung auf der Anklagebank, der ehemalige Direktor der Handelsmarine, José Luis López-Sors. „Es geht mir nicht darum, dass die beiden weit über siebzig Jahre alten Männer auch nur einen einzigen Tag ins Gefängnis müssen“, unterstrich Anwalt Trepat. Es gehe ihm aber auch nicht darum, dass eine milde Strafe gegen Personen verhängt wird, sondern sie müsse „exemplarisch und pädagogisch“ sein und zwar nicht nur, damit die illegalen Vorgehensweisen beim Schiffstransport von Rohöl nicht ungesühnt bleiben, sondern vor allem wegen der Fehlentscheidungen angesichts des Krisenszenarios der Umweltkatastrophe durch die zuständigen Behörden. „Wir wollen sicherstellen, dass bei einem neuen Fall „Prestige“, der leider nicht auszuschließen ist, die Verantwortlichen für das Krisenmanagement nicht lieber auf die Jagd gehen oder die Meinung von Wissenschaftlern und Experten missachtet werden.“

Die Bürgerinitiative, die aus der sozialen Empörung über den Unfall des alten Tankers entstand, ist der Hauptankläger gegen López-Sors. Sie verlangt eine Bestrafung wegen des Umweltdeliktes und schwerer Schäden an geschützten Naturzonen. Anwalt Trepat machte sich sämtliche Argumente der Staatsanwaltschaft zu Eigen und beantragte die Bestrafung des Kapitäns Mangouras und damit indirekt der Reederei und der Versicherung des Schiffes.

Keine politischen Konsequenzen

Das schlimmste ökologische Desaster in der Geschichte Spaniens hatte keinen politischen Preis. Für die Mehrheit der Politiker, die im Verlauf der Katastrophe Entscheidungsgewalt hatten und die teilweise unglaublichen Fehlentscheidungen der Regierung Aznar, gab es keine politischen Konsequenzen. Trotz der enormen Empörung in der Bevölkerung Galiciens konnten die meisten problemlos ihre politische Karriere fortsetzen. Das beste Beispiel dafür ist Mariano Rajoy, der heute das höchste Amt im Staat bekleidet und damals Vize-Präsident in der Regierung Aznar war. Einige, die damals Verantwortung hatten, sind nicht mehr in der ersten Reihe der Politik präsent, doch das hat andere Gründe und mit den Fall „Prestige“ nichts zu tun. Der Einzige, der überhaupt auf der Anklagebank sitzt und der wahrscheinlich für seine Irrtümer bezahlen muss, ist José Luis López-Sors. Doch der war kein Politiker sondern eher ein Techniker, der Direktor der Handelsmarine. Sein Landsmann, Francisco Álvarez-Cascos, damals Minister für Verkehr und Inlandsentwicklung hatte ihm diesen Posten vermittelt. López-Sors folgte treu den Anweisungen seines Chefs, das havarierte Schiff so weit wie möglich von der Küste zu entfernen. Niemals hat er versucht, die Verantwortung „nach oben“ zu schieben. Er verschwand völlig aus dem politischen Leben.

Francisco Álvarez Cascos dagegen hat niemals Verantwortung für die haarsträubenden Fehlentscheidungen übernommen, obwohl sein Ministerium über das Schicksal des in Seenot geratenen Tankers entscheiden musste und ihr Chef sich während der schrecklichen Ereignisse auf der Jagd befand. Vielmehr hat ihm die Regierung Galiciens unter Manuel Fraga Iribarne später die Goldmedaille der Region verliehen.

Mariano Rajoy war seinerzeit Vize-Präsident und hatte in den ersten Tagen keine Verantwortung für die Entscheidung, dem Tanker den Schutz eines Hafens zu verweigern. Doch als sich die Situation zuspitzte, ohne dass die Regierung auf die drohende Ölpest reagierte, ja diese sogar bestritt, übertrug Regierungschef Aznar Mariano Rajoy die Leitung des Krisenstabs. Die Fehlentscheidungen, die getroffen wurden, sind traurige Geschichte. Er bestritt trotz überzeugender Beweise der portugiesischen Regierung, dass aus dem untergegangenen Wrack Öl austrat. Später sagte er einen Satz, der bis heute in Erinnerung geblieben ist: „Ein Fädchen steigt vertikal nach oben.“ Trotz harscher Kritik seiner galicischen Landsleute brachte er es bis zum Regierungspräsidenten.

Federico Trillo, seinerzeit Verteidigungsminister, brauchte drei Wochen, bis er das Militär mobilisiert hatte, um die Ölpest zu bekämpfen. In der Zwischenzeit hatten die Fischer damit begonnen, die schwarze Masse, Chapapote genannt, mit den eigenen Händen und improvisierten Geräten von den Stränden zu beseitigen. Während das Schiff schlingerte und das schwarze Öl in Strömen aus dem Tanker floss, verstieg er sich sogar zu dem Vorschlag, das Schiff zu bombardieren. Die Regierung Rajoy belohnte ihn mit dem Posten des spanischen Botschafters in Großbritannien.

Arsenio Fernandez de Mesa war Regierungsdelegierter und der einzige offizielle Sprecher der Regierung während der ersten Tage der Katastrophe. Tadellos gekleidet und frisiert hob er sich bei der Ortsbesichtigung von den Fischern ab, die bis zur Erschöpfung gegen die Ölpest kämpften. Er hat nie die Politik verlassen, war Kongress-Abgeordneter und enger Mitarbeiter von Mariano Rajoy. Heute ist er Generaldirektor der Guardia Civil.

Prestige-Schiffsdaten

Flagge: Bahamas

Schiffstyp: Tanker

Bauwerft: Hitachi, Japan

Stapellauf: 1. Dezember 1975

Indienststellung: 1. März 1976

Verbleib: 19. Nov. 2002 gesunken

Schiffsmaße und Besatzung

Länge: 243,5 m (Lüa), 232,0 m (Lpp)

Breite: 34,4 m

Tiefgang: max. 14,05 m

Vermessung: 42.820 BRT

Maschine

Maschinenart: Zweitakt-Diesel

Leistung: 7.766 kW (10.559 PS)

Geschwindigkeit: max. 15 kn (28 km/h)

Transportkapazitäten

Tragfähigkeit: 81.589 tdw

Registrierung

Registrier-Nr.: IMO: 7372141

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