Neue Tragödie im Atlantik: 15 Leichen in einem Boot

Am 28. August kamen auf Gran Canaria acht Boote mit insgesamt rund 100 Migranten, darunter zahlreiche Minderjährige, an. Foto: EFE

Am 28. August kamen auf Gran Canaria acht Boote mit insgesamt rund 100 Migranten, darunter zahlreiche Minderjährige, an. Foto: EFE

Seit Jahresbeginn ist die Zahl der illegalen Migranten aus Afrika, die auf den Kanarischen Inseln eintreffen, bedeutend gestiegen

Gran Canaria – Während fast täglich neue Boote mit Migranten aus Afrika auf den Inseln eintreffen und die Zahl verzweifelter Menschen, die über die Kanaren nach Europa kommen, weiter ansteigt, spielen sich auch immer mehr Tragödien ab.
Am 19. August wurde von einem Flugzeug der Seenotrettung ein Boot gesichtet, dessen Insassen sich nicht bewegten. Das Flugzeug war auf dem Atlantik eigentlich auf der Suche nach einem anderen Flüchtlingsboot, das ein Anrufer gemeldet hatte, als die Besatzung das rund 80 Meilen vor der Küste Gran Canarias ziellos im Wasser treibende marode Fischerboot sichtete. Aus der Luft seien die leblosen Körper von acht bis zehn Menschen im Rumpf des Bootes zu erkennen gewesen, lautete die erste Nachricht der Seenotrettung. Nachdem das Boot von dem Patrouillenschiff „Río Tajo“ der Guardia Civil in den Hafen von Arinaga geschleppt worden war, musste die Zahl der Toten nach oben korrigiert werden. 15 Menschen waren in dem Boot gestorben, mit dem sie versucht hatten, die europäische Küste zu erreichen.
Nur einen Tag später wurde von der Luftrettung etwa 110 Meilen südlich von Gran Canaria ein weiteres Flüchtlingsboot gesichtet. Zwei der Insassen wurden aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands mit einem Hubschrauber sofort evakuiert; nur einer von ihnen überlebte. Von den 15 Mitreisenden überlebten 11. Als das Boot in den Hafen von Arguineguín geschleppt wurde, fanden Polizei und Rotes Kreuz vier Leichen darin. Auch die übrigen Insassen waren in sehr schlechter Verfassung. „Einige hatten kaum die Kraft, ihren Namen zu sagen“, berichtete ein Sanitäter des Roten Kreuzes. Andere konnten mitteilen, dass sie aus Mali stammten; sechs gaben an, minderjährig zu sein.
In den folgenden Tagen wurden von der Seenotrettung in den Gewässern südlich von Gran Canaria weitere Rettungsaktionen durchgeführt. In mehreren Flüchtlingsbooten kamen zusammen 110 Personen an. Damit wurden in weniger als vier Tagen fünf Flüchtlingsboote gesichtet und von örtlichen Einsatzkräften abgeschleppt.
Wie das Innenministerium in seinem zweiwöchigen Bericht zur illegalen Migration mitteilte, hatten zwischen dem 1. Januar und dem 16. August 2020 insgesamt 3.448 Migranten aus Afrika die Kanarischen Inseln erreicht. Verglichen mit demselben Zeitraum 2019, als die Zahl auf 556 zurückgegangen war, stellt dies einen Anstieg um sage und schreibe 520% dar. Im Gegensatz dazu steht die Zahl der Migranten, die auf dem Seeweg das spanische Festland bzw. die Balearen erreichten; während es in diesem Zeitraum 2019 noch 13.603 Personen waren, ging die Zahl 2020 auf 7.172 Personen zurück.

Eines der Boote erreichte den Strand von San Agustín, ohne von dem Küstenüberwachungssystem bemerkt zu werden. Die Migranten flohen nach der Ankunft über den Strand. Foto: EFE
Eines der Boote erreichte den Strand von San Agustín, ohne von dem Küstenüberwachungssystem bemerkt zu werden. Die Migranten flohen nach der Ankunft über den Strand. Foto: EFE

Acht Boote an einem Tag
Unterdessen nimmt der Migrantenstrom auf die Kanaren weiter zu und stellt die hiesigen Behörden zunehmend vor eine Herausforderung, was die Unterbringung angeht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Migranten nach ihrer Ankunft in zweiwöchige Corona-Quarantäne müssen.
Am 23. August wurde nur 1,5 Meilen vor der Küste von Maspalomas im Süden Gran Canarias ein weiteres Flüchtlingsboot mit 38 Personen an Bord gesichtet, 36 Männer, eine Frau und ein Kind. Sie wurden mit einem Schiff des Roten Kreuzes sicher in den Hafen gebracht.
Am 25. August wurden vor der Küste von Mogán 43 Menschen gerettet, und zwei Tage später trafen weitere drei Flüchtlingsboote ein, die zusammen rund 100 Migranten auf die Inseln brachten.
Am 28. August kamen acht Boote mit erneut an die 100 illegalen Migranten auf Gran Canaria an. Drei davon wurden auf hoher See von Schiffen der Seenotrettung gesichtet und die Insassen an Bord genommen; die übrigen fünf erreichten die Küste bei Arinaga, El Berriel, Maspalomas, San Agustín und Tasartico.
Nach Angaben der Hilfsorganisationen erhöhte sich die Zahl der insgesamt in diesem Jahr angekommenen Migranten in der zweiten Monatshälfte um nochmals über 550 Personen und überstieg damit die Viertausendermarke. Im August wurden demnach mit 807 Neuankömmlingen Zahlen erreicht, wie man sie zuvor nur von der Flüchtlingskrise der Jahre 2006 bis 2008 kannte.
Für großes Aufsehen sorgte in den sozialen Medien ein Video von der Ankunft eines Bootes am Strand San Agustín. Darauf war zu sehen, wie das Fischerboot ungehindert den Strand erreichte und die Insassen daraufhin über den Strand davonrannten. Fünf von ihnen konnten später von der Polizei aufgegriffen werden, nach den übrigen wurde weiter gesucht.
Die Bürgermeisterin von San Bartolomé de Tirajana, Concepción Narváez, kritisierte die offensichtliche Ineffektivität des Küstenüberwachungssystems SIVE (Sistema Integral de Vigilancia Exterior), das das Boot nicht gemeldet hatte. Kanarenpräsident Ángel Victor Torres forderte daraufhin schriftlich eine Erklärung von der Regierungsdelegation.

Ministerbesuch im September
Die Delegation der spanischen Regierung auf den Kanaren arbeitet angesichts der Unterkunftsnot an der Ausstattung verschiedener Einrichtungen des Verteidigungsministeriums für die Unterbringung der Migranten. Auf Teneriffa, Gran Canaria und Fuerteventura werden Kasernen für die Aufnahme von Flüchtlingen vorbereitet.
In Kürze wird der Besuch des Ministers für Sozialversicherung, Inklusion und Migration, José Luis Escrivá, auf den Kanaren erwartet, um die neuen Aufnahmeeinrichtungen vorzustellen.

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