PISA-Studie bringt Fundamente des Schulsystems ins Wanken


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OECD-Experten raten unter anderem zur Kürzung der Sommerferien, zur finanziellen Motivation der Lehrkräfte und Reduzierung der hohen Wiederholerrate

Das Akronym PISA wird nicht nur in Deutschland als Inbegriff aller Probleme des Bildungswesens verstanden. Auch in Spanien hat die letzte PISA-Studie 2009 wegen der wenig erfreulichen Leistungsergebnisse und der geringen Punktezahl im Ländervergleich ein starkes Echo ausgelöst (das Wochenblatt berichtete).

Auf den Kanarischen Inseln wurden nach Bekanntgabe des Ergebnisses buchstäblich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Abgesehen davon, dass Spanien mit einem Punktestand unter dem Durchschnitt schlechte Noten bei der internationalen Schulleistungsuntersuchung bei 15-jährigen Schülern bekommen hatte, bildeten die Kanarischen Inseln in der regionalen Rangliste das Schlusslicht. Die Leistungsergebnisse der kanarischen Schüler lagen im Ranking nur vor denen der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla. Die Kanarischen Inseln hatten an der PISA-Studie überdies zum ersten Mal teilgenommen.

Dieses niederschmetternde Ergebnis veranlasste die kanarische Regierung, bei der OECD eine spezifische Studie in Auftrag zu geben, um basierend auf dem PISA-Ergebnis 2009 das Schulsystem auf den Inseln zu analysieren und auszuwerten, Probleme zu diagnostizieren und praktische Lösungen und Verbesserungen vorzuschlagen. Die Ergebnisse dieser sogenannten kanarischen PISA-Studie wurden von Mitgliedern des Expertengremiums der OECD der Regionalregierung Ende März übergeben. Sie sind ebenso aufschlussreich wie zermürbend, zumal sich voraussichtlich der Großteil der Ansätze und Änderungsvorschläge der OECD nicht umsetzen lassen wird.

Die Erkenntnisse der Studie sind für das Bildungsressort der kanarischen Regierung wenig erfreulich. Viele Grundaspekte des Bildungssystems werden infrage gestellt beziehungsweise kritisiert, was einleuchtet, doch die Umsetzung der konstruktiven Verbesserungsvorschläge dürfte sich schwierig gestalten, sofern die zuständigen Stellen diese in Angriff nehmen sollten.

Befunde und Empfehlungen

In ihrem Bericht hält die OECD zunächst fest, dass es auf den Kanarischen Inseln drei Arten von Schulen gibt: die öffentlichen, also zu 100 Prozent vom Staat finanzierten Schulen (knapp 75% der Schüler), die Privatschulen mit staatlicher Beteiligung (etwas weniger als 20% der Schüler) und die reinen Privatschulen (etwa 5% der Schüler).

Für die PISA-Erhebung wurden die Testergebnisse von 250 Schülern aus neun Privatschulen mit staatlicher Beteiligung sowie 1.046 Schülern aus 36 öffentlichen Schulen repräsentativ für die 16.000 Schüler im Alter von 15 Jahren zugrunde gelegt. Schüler von reinen Privatschulen nahmen an der Untersuchung nicht teil.

Die Prüfer stellten fest, dass die Leistungen der kanarischen Schüler in Mathematik, Lesefähigkeit und Naturwissenschaften die zweitniedrigsten in Spanien sind. Besonders deutlich war die Leistungsschwäche im Fach Mathematik. Generell wurde festgestellt, dass die Schüler der Privatschulen höhere Leistungsergebnisse erzielten, als die der öffentlichen Schulen. Als lobenswert stellt die OECD heraus, dass die Kinder mit Migrationshintergrund dieselben Ergebnisse erzielten wie die kanarischen Schüler.

Die sogenannte Orientierungshilfe von PISA für die Kanarischen Inseln stellt verschiedene Problemdiagnosen und gibt Lösungsvorschläge. Das kanarische Bildungsressort sollte zum Beispiel den Kompetenzbereich beziehungsweise die Entscheidungsbefugnisse der Schulen erweitern, den verwaltungstechnischen und bürokratischen Aufwand abbauen, sodass die Schulleiter in dieser Hinsicht entlastet werden und mehr Zeit für die Ausübung ihres eigentlichen Dienstes haben.

Hinsichtlich der Schüler und ihrer Lernfähigkeit wird ein geringes Interesse und eine schwache Motivation festgestellt. Als einer der möglichen Gründe kommt die geringe Teilnahme der Eltern am schulischen Leben infrage, welche unbedingt gefördert werden müsse. Die Sinne der Lehrkräfte für die Erkennung von Problemfällen müssen geschärft, und vor allen Dingen müsse die hohe Wiederholerrate reduziert werden. Die OECD rät praktisch zur Abschaffung des Sitzenbleibens, da diese Maßnahme kontraproduktiv sei und hohe Kosten verursache. Lehrer, Eltern und Schüler sollten in eine Studie einbezogen werden, um die Dauer und Konfiguration der Schulzeiten zu überdenken. Der lange schulische Vormittag, fast ohne Pausen, sei unüblich und scheine allen Beteiligten Schwierigkeiten zu bereiten. Auch die langen Sommerferien wirken sich negativ auf die Lernfähigkeit der Schüler aus und sollten verkürzt werden. Gerade auf den Kanaren seien die Sommer ja nicht so heiß wie in anderen spanischen Regionen, wird von der OECD angemerkt, weshalb die Feriendauer auch kürzer sein könnte.

Wenig Begeisterung unter den Lehrkräften dürfte die Empfehlung hervorrufen, die verhältnismäßig hohen Anfangsgehälter neuer Lehrer zu senken und dafür finanzielle Anreize zu schaffen, um für mehr Motivation zu sorgen. So könnten Lehrkräfte, deren Schüler nachweislich bessere Noten schreiben, für ihre Leistungen belohnt werden. Auch sollten Lehrer regelmäßig über Fortbildungskurse ihre Kenntnisse auf den neuesten Stand bringen. Falls der Mangel an Fortbildungsprogrammen und die geringe Teilnahme der Lehrer daran nicht behoben werde, so könnten auch die Schulstandards nicht verbessert werden, argumentieren die Experten in ihrem Bericht weiter. Des Weiteren schlagen sie vor, die Frühpensionierung von Lehrkräften einzuführen, damit Lehrer, die nicht mehr die nötigen Leistungen erbringen, würdevoll ihr Berufsleben beenden können. Um eine bessere Auswahl des Lehrpersonals zu ermöglichen, sollten die Schulleiter Befugnisse dazu erhalten und so die einzelnen Lehrkräfte auswählen und einsetzen können. Auch sollten die einzelnen Schulen unabhängig die Auswahl von Schulbüchern und -material treffen sowie Änderungen des Lehrplans beantragen und spezielle Programme für Schüler mit Schwierigkeiten einführen können. Im Allgemeinen sei der Posten des Schulleiters mit hohen Herausforderungen verbunden, was gehaltstechnisch nur wenig honoriert werde. Gleichzeitig seien die Befugnisse der Direktoren dermaßen eingeschränkt, dass sie kaum Freiraum für Innovation oder Verbesserungen haben.

Stellungnahmen

María Dolores Berriel, Präsidentin des kanarischen Schulrates, erklärte nach der Bekanntmachung des PISA-Berichts, dass dieser keine neuen Erkenntnisse offenbare, sondern lediglich das bestätigt, was man bereits wusste. Den einzigen Nutzen der Studie sieht sie darin, dass es ein unabhängiges Gutachten sei. 80% der Vorschläge oder Empfehlungen des Berichts seien schon mindestens einmal vom regionalen Schulrat auf den Tisch gebracht worden.

Eusebio Dorta, Vorsitzender des Elternverbands Fitapa, ist der Meinung, dass die Studie alle Seiten zur Selbstkritik anregen sollte, anstatt die Schuld immer nur auf die Lehrer zu schieben.

Der Vizepräsident der kanarischen Regierung und Leiter des regionalen Bildungsressorts, José Miguel Pérez, der bei der Übergabe des Berichts durch die Mitarbeiter der OECD nicht anwesend war, hatte für verschiedene Kritikpunkte prompt Rechtfertigungen parat, betonte aber, dass die Studie nicht als „Abstrafung“ verstanden werden dürfe. „Die Regierung hat den Puls der Probleme des Bildungswesens auf dem Archipel gefühlt und ist sich selbstverständlich darüber im Klaren, was zu tun ist“, versicherte er vollmundig. Hierfür sei schließlich eine parlamentarische Kommission gegründet worden, die sich mit dem Thema Bildung befasst.

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