Rajoy übernimmt die Kontrolle


Mehr als 400.000 Katalanen demonstrierten für die Unabhängigkeit der Region und forderten die Freilassung der inhaftierten Politiker Jordi Sánchez und Jordi Cuixart, die als die einflussreichsten Verfechter der Abspaltung gelten. Fotos: EFE

Kataloniens Präsident Puigdemont ruft das Regionalparlament zusammen

Madrid/Barcelona – Die spanische Regierung hat mit der Unterstützung der Sozialdemokraten von der PSOE und den liberalen Ciudadanos angesichts des Aufstands der Regionalregierung in Katalonien den erwarteten Schritt getan. Präsident Rajoy hat die Maßnahmen bekannt gegeben, die der vielzitierte Artikel 155 der Spanischen Verfassung vorsieht und die von seinem Kabinett beschlossen wurden. Diese Maßnahmen sollen die verfassungsmäßige Ordnung in Katalonien wiederherstellen, sobald der Senat sie abgesegnet hat. Die entsprechende Sitzung ist für kommenden Freitag, dem 27. Oktober, vorgesehen. In der Hauptsache geht es darum, Regionalpräsident Puigdemont, den Vizepräsidenten Junqueras und das gesamte 13-köpfige Kabinett abzulösen. In einem Zeitraum von maximal sechs Monaten sollen dann Neuwahlen stattfinden. Beschlossen wurde die Übernahme der Kompetenzen für Wirtschaft, Finanzen, Steuern und Haushaltspläne durch die Madrider Regierung. Obwohl das Regionalparlament weiterhin bestehen bleiben soll, wird sein Handlungsspielraum bedeutend beschnitten. Die Zentralregierung dagegen kann neue Organismen schaffen und neue Entscheidungsträger ernennen, um die Erfüllung der Maßnahmen zu garantieren.

Die Anwendung des Artikels 155 gibt der Regierung Rajoy auch das Recht, die Leitung der Regionalpolizei Mossos d’Escuadra zu übernehmen. Angeblich hat das Innenministerium bereits die Ablösung von Josep Lluis Trapero, den Chef der Polizeieinheit, in Vorbereitung. Auch die Kontrolle des öffentlichen katalanischen Fernsehsenders TV3 könnte vorübergehend übernommen werden, um eine objektive Informationspolitik zu gewährleisten.

Präsident Puigdemont hatte sich nach der offiziellen Erklärung Rajoys mit einer Ansprache an seine Landsleute gerichtet und sie aufgefordert, weiter an seiner Seite für die Unabhängigkeit zu kämpfen. Er sprach von einem Putsch, einer schlimmen Attacke der spanischen Regierung gegen Katalonien und erinnerte an die Repressionen durch das Franco-Regime. Offenbar hat er als Antwort auf die Anwendung des Artikels 155 eine formelle Unabhängigkeitserklärung vorbereitet. Durch die drohende Gefahr bedrängt, dass er und seine 13 Regierungsmitglieder des Amtes enthoben werden, verlangte er eine Sitzung des Parlaments, um zu „debattieren und zu entscheiden“, sobald das Ausmaß der Maßnahmen feststeht. Er wollte sich nicht dazu äußern, ob dabei auch die Unabhängigkeitserklärung erfolgen werde, wie es seine politischen Gewährsleute von der ERC und CUP von ihm verlangen. Diesen Schritt wird er jedoch wahrscheinlich nicht wagen, bis der Senat am Freitag entschieden hat. Die Erklärung könnte als Rebellion ausgelegt werden, zu seiner Verhaftung führen und eine langjährige Gefängnisstrafe nach sich ziehen.

Die Antikapitalisten von der CUP, ebenfalls Koalitionspartner von Puigdemont, riefen die katalanische Bevölkerung zu einem permanenten Protest und zu zivilem Ungehorsam auf. Tatsächlich haben in den letzten Tagen erneut massive Proteste mit mehr als 400.000 Personen stattgefunden. Dabei ging es in erster Linie um die Freilassung von Jordi Sánchez und Jordi Cuixart, der beiden Führer der Organisationen ANC und Òmnium Cultural, die einflussreichsten Verfechter der Abspaltung von Spanien. Sie befinden sich auf Veranlassung des Obersten Gerichtshofs, der ihnen Anstiftung zum Aufstand vorwirft, in Untersuchungshaft.

Keine europäische Aufgabe

Antonio Tajani, der Präsident des Europaparlaments, war gemeinsam mit Ratspräsident Donald Tusk und Jean-Claude Juncker nach Oviedo gekommen, um den Prinzessin von Asturien-Preis für Eintracht – Concordia – entgegenzunehmen, der in diesem Jahr an die Europäische Union verliehen wurde. Vor König Felipe und den versammelten Persönlichkeiten wiederholte Tajani die Stellungnahme verschiedener führender europäischer Politiker im Zusammenhang mit der Katalonien-Krise. Es sei nicht die Aufgabe Europas, zu vermitteln, da es sich um eine Region Spaniens, also um eine interne Angelegenheit, handele, erklärte er.

In seiner Ansprache bei der feierlichen Eröffnung der Preisverleihung hatte Spaniens König ebenfalls zu diesem schwierigen Thema Stellung genommen. „Spanien wird diesen inakzeptablen Versuch der Abspaltung in einem Teil seines Territoriums mithilfe der Verfassung lösen“, erklärte er unter anderem. In sehr ernstem Ton sagte er an anderer Stelle, im Spanien des 21. Jahrhunderts werde Katalonien ein wichtiger Bestandteil sein und bleiben innerhalb einer großen Realität, die Europa heiße.

Seit seiner Proklamation zum Staatschef hat König Felipe in allen seinen Reden anlässlich der Überreichung der Prinzessin von Asturien-Preise über Katalonien gesprochen, doch noch niemals im Zusammenhang mit einer derart komplizierten Situation wie in diesem Jahr. Zum Abschluss seiner Ansprache erinnerte der Monarch an die demokratischen Prinzipien. „In den schwierigen Zeiten, in denen wir leben, müssen wir Verantwortung zeigen, unsere Bürger haben es verdient“.

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