» Rückblick von ganz oben «


Der Pico del Teide ist ein Ziel auf Teneriffa. Für viele das Ziel. Der Nationalpark mit dem höchsten Berg Spaniens empfängt jährlich rund fünf Millionen Besucher. Das macht zwischen 9:00 und 16:00 Uhr mehr als 2000 Personen – pro Stunde –  und erreicht die Besucherzahlen der berühmtesten Museen der Welt. Der Teide ist die Attraktion, mag manche Werbung auch anderes suggerieren. Natur schlägt hier ambitionierte Unterhaltung um Längen. Das ist gut so. Gut für die Insel, deren wichtigstes Kapital ihre einmalige Natur ist. Die Seilbahn bringt pro Stunde bis zu 250 Passagiere knapp unter den Gipfel auf immerhin 3550 m Höhe, den etwa ein Zehntel von ihnen pro Tag mit einer persönlichen Erlaubnis besteigen darf. Das bewahrt den Bergriesen – immerhin der drittgrößte Inselvulkan der Erde – vor massiven Trittschäden. Beim Teide steht – oft unbemerkt – der Naturschutz im Vordergrund. Das war nicht immer so.

Vor ein paar Tagen war ich mit einer Kundin am Teide unterwegs. Nach früheren Besuchen des Nationalparks ist sie von dieser Landschaft begeistert. Sie war auch schon bei der Gipfelstation der Seilbahn. Ihr Wunsch war, den Berg selbst zu besteigen, ohne Teleférico. Also bot ich ihr an, mich zu begleiten. Ihr erster Aufstieg war für mich selbst eine Jubiläumstour. Wie oft ich ihn schon gemacht habe, weiß ich nicht. Ich habe nie gezählt. Aber dass ich am 26. August vor genau fünfzig Jahren zum ersten Mal den Gipfel erreicht habe, steht auf der Urkunde, die ich damals bei der Rückkehr zum Refugio de Altavista bekam. Glücklicherweise ist sie mir auf einem alten Foto erhalten geblieben. Damals galt der Teide noch als 11 m niedriger.

Urkunden für die Gipfelbesteigung gibt es schon lange nicht mehr. Nicht nur das hat sich geändert. Während wir gemächlich Höhe gewinnen und immer wieder die Landschaft mit ihren Formen und Farben bestaunen, erzähle ich nebenbei die Geschichte und Geschichten vom Teide. Eigentlich erzählt die Natur das meiste ja selbst. Wir müssen nur hinschauen und verstehen. Ich bin eher ein Übersetzer und übertrage die Sprache der Natur ins Deutsche. Warum ist Bimsstein, so wie er ist, leicht und hell oder rotbraun? Warum ist Basalt schwer und manchmal mit oder ohne darin eingeschlossene Kristalle? Wie ist die Landschaft entstanden? Wie sah vermutlich der Vorgänger-Vulkan des Teide aus und warum? Es gibt dort so viel zu erzählen. Erzählen am Berg ist gut. Solange man ohne Atemnot sprechen kann, steigt man nicht zu schnell. Die Fragen hörten nicht auf. Und manchmal sprach ich davon, wie hier damals die Bergwelt war.

Bei unseren ersten Besteigungen brauchten wir nicht die etwa vier Kilometer lange Piste zum Sattel zwischen Teide und Montaña Blanca hinauf zu wandern. Damals durfte man noch, wenn man sich das traute, mit dem eigenen Pkw dorthin fahren. Setzte unser alter VW-Käfer, Baujahr 1953, auch ab und zu mit dem Motorblock auf den Untergrund auf, er brachte uns zuverlässig ans Ziel. Nur wenige andere Autos parkten dort, manchmal auch keine. Die auf 3250 m gelegene Schutzhütte Altavista hatte weniger Schlafplätze als heute, aber die vorhandenen reichten für alle Besucher. Niemand musste sich anmelden, schon gar nicht Wochen im Voraus. So haben wir Geschwister ab und zu mittags beschlossen, zur Abwechslung mal wieder auf den Teide zu gehen, waren abends auf der Hütte und am nächsten Tag ganz oben.

Fließendes Wasser gab es nicht. Im Frühsommer holten die Hüttenwarte Eis und Schnee aus der gut 50 Höhenmeter über der Hütte gelegenen Cueva del Hielo. Später, wenn alles geschmolzen war, trugen Maultiere Wasser in Kanistern hinauf. Allen meinen Gästen zeige ich, wo sich am Teidefuß der Maultierstall befand. Er ist zur Wiederherstellung des Landschaftsbildes restlos beseitigt worden. Auch neben der Hütte stand ein Maultierstall. Längst ist daraus das Nebengebäude mit weiteren Schlafplätzen geworden. Die Maultiere kannten ihren Weg und waren auf ihrer Strecke schneller als wir. Es gab nicht nur einen einzigen, ziemlich gut ausgebauten Weg hinauf, sondern ein ganzes Wegenetz von Trampelpfaden. Und über die große Phonolithplatte im letzten Abschnitt unter der Hütte gab es gar nichts, man stieg, wie man konnte.

Die Hütte war seinerzeit uriger, mit weichen Sofas und Sesseln. Und im Herd brannte ein kleines Feuer. An den Wänden des heutigen Speiseraumes befanden sich einige bunte Kacheln mit Sprüchen, die ich damals mangels Sprach­-

kenntnissen nicht verstehen konnte. Das alles fiel Jahrzehnte später, zusammen mit den gemütlichen Kojen der Schlafräume, einer großen Renovierungsaktion zum Opfer. Nachts hatten diese Schlafplätze einen großen Vorteil: Sie quietschten nicht so wie die modernen eisernen Stockbetten. Niemand bekam einen Schlafplatz zugewiesen. Es war genug Platz für jeden. Ähnlich war es bei Abendessen und Frühstück. Am großen Tisch war immer alles für alle da. Es kam auch vor, dass wir allein mit den Hüttenwarten waren. Die teilten dann mit uns, was sie hatten.

Zum Gipfel ging man ohne Lampe. Es gab ja keine Stirnlampen, und wenn man wollte, konnte man ähnlich gut von der Hütte aus die aufgehende Sonne beobachten. Später war es bei der Ankunft am Gipfel nicht so kalt. Wer genau hinschaut, kann noch heute erkennen, wo man damals den obers­ten Kegel erstieg. Es ging in Fortsetzung des Weges von der Hütte jenseits der Rambleta direkt über die Ostflanke in großen Kehren aufwärts. Die Spuren sind vom Mirador de la Fortaleza sichtbar. Der aktuelle Gipfelweg wurde erst nach Fertigstellung der Seilbahn notwendig und ist viel steiler. Aber er schützt den Berg besser vor Trittschäden.

Morgens am Strand, mittags am Portillo, abends auf der Hütte, am folgenden Morgen am Gipfel und nachmittags wieder an der Playa ausschlafen – die Freiheit war größer.

Michael von Levetzow
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